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Von der Gefangennahme Jesu bis zur Grablegung - eine Rezension von Cornelia Staudacher

Die Johannes-Passion in der Interpretation der Camerata vocale Berlin

Viel Beifall gab es für Camerata vocale Berlin, ihre Solisten und das Neue Kammerorchester Potsdam am Karfreitag in der Philharmonie.
Viel Beifall gab es für Camerata vocale Berlin, ihre Solisten und das Neue Kammerorchester Potsdam am Karfreitag in der Philharmonie.
Eine Sternstunde erlebten die Besucher des Osterkonzerts 2023 der Camerata vocale Berlin am Karfreitag im Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin. Dargebracht wurde die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach. Der Abend war in jeder Beziehung ein Erlebnis. Unter der Leitung von Daniel Kirchmann begleitete das Neue Kammerorchester Potsdam Camerata vocale Berlin und die Solisten Frieda Jolanda Barck (Sopran), Itziar Lesaka (Alt), Burkhard Solle (Tenor, in der Rolle des Evangelisten) Cornelius Lewenberg und Manuel Nickert (Bass).

 

Die Johannes-Passion ist in seiner Struktur differenter und scheinbar unstrukturierter als die bekanntere Matthäus-Passion. Die Johannes-Passion besteht aus zwei unterschiedlich langen Teilen. Der erste, sehr viel kürzere Teil ruft beim Publikum oft – so auch an diesem Abend – eine gewisse Ratlosigkeit hervor wegen seines abrupten Abschlusses. Daniel Kirchmann reagierte darauf mit freundlicher Nonchalance.  

 

Die Struktur der Johannes-Passion, ist stark vom Erzählerischen des biblischen Geschehens (der Gefangennahme, der Geißelung, den Verhören, der Grablegung und den Zurufen unter den beistehenden Augenzeugen) geprägt. So kommt den teilweise langen Rezitativen des Evangelisten, begleitet von der Orgel, eine besondere Bedeutung zu. In aller Ausführlichkeit wird darin von den Leiden Christi berichtet, begleitet von feierlichen Sechzehntel der Streicher, aus denen sich klagend die Stimmen der Flöten und Oboen in schneidenden Dissonanzen und Synkopen erheben. Burkhard Solle erfüllte mit seiner klaren Stimme und unaufdringlichen Diktion die Rolle des Erzählers, des Evangelisten in einem ruhigen, dem Verständnis zugutekommenden ausgewogenen Gesangsduktus. Das Publikum dankte es ihm mit Begeisterung.

 

Dem Chor kommt in der Passion des Johannes ein wesentlicher Part zu, sowohl in unzähligen, zum Teil kurzen Chorälen als auch in bewegten Chorszenen, die die Handlung vorantreiben. Die meist vierstimmigen Choral-Sätze enthalten lyrisch-andächtige Aussagen, häufig Zitate oder Strophen aus zeitgenössischen Kirchenliedern. Die leidenschaftlich erregten Volkschorszenen, die die Auseinandersetzung zwischen Pilatus und der anwesenden Menge des Volkes darstellen, sind dagegen von einer aufgeregten Vitalität. Wie sich Pilatus, Jesus und der Chor gegenseitig ins Wort fallen, das sind Passagen von wilder Erregung, die in ihrer musikalischen Ausgestaltung an Szenen einer Oper erinnern. Der Chor gestaltete diese Szenen, was Rhythmik, Tempi und Dynamik betrifft, mit interpretatorischer Einfühlung und überzeugender Ausstrahlungskraft, sodass die konzertante Aufführung im inneren Auge der Zuhörer eine inszenatorische Dimension annehmen konnte.

 

Es zeigte sich einmal mehr, dass Daniel Kirchmann eine hervorragende Wahl als Chefdirigent der Camerata vocale Berlin und Nachfolger von Etta Hilsberg ist. Hat er doch neben seiner Erfahrung als Kirchenmusiker und als Assistent des Chefdirigenten an der Kammeroper Köln und bei den Kölner Symphonikern auch Erfahrungen als Opernregisseur sammeln können. Sein Operndebüt gab er mit Mozarts Don Giovanni bei den Klassik-Festspielen Monschau.  Die szenisch-musikalische Erfahrung des Dirigenten kommt dem Chor sehr zugute und hat sich auf fast beklemmende Weise im letzten Drittel der Passion niedergeschlagen: So zeigte sich der Chor den musikalischen Dissonanzballungen und chromatischen Wendungen ebenso gewachsen wie der äußerst packenden Gestaltung der Kreuzigungschöre, die am Schluss in die Ruhe der Grablegungsszene münden: „Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine, die ich nun weiter nicht beweise, ruht wohl und bringt auch mich zur Ruh!“ 

 

Es gab frenetischen Beifall. Die Begeisterung des Publikums war groß, zurecht. Eröffnet sich hier doch eine weitere ambitionierte Perspektive für die hoch motivierten Sänger und Sängerinnen der Camerata vocale Berlin.